Redebeitrag der Gruppe Phoenix auf der 1. Mai-Demonstration:
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Passantinnen und Passanten,
„Der 1. Mai ist unser Tag. Denn es sind die Beschäftigten, die den Wohlstand dieses Landes erarbeiten. Der 1. Mai ist unser Tag der Arbeit. Am 1. Mai demonstrieren wir für die Würde der arbeitenden Menschen!“
Ihr fragt euch jetzt sicher, was uns dazu hingerissen hat euch die Arbeit als etwas Würdevolles anpreisen zu wollen, immerhin haben wir uns ja alle bewußt nicht schon heute morgen um elf Uhr am DGB-Haus getroffen. Und ihr geht ganz recht in der Annahme, diese Sätze stammen nicht von uns, sie sind die ersten aus dem diesjährigen Aufruf der Gewerkschaften.
Würden die Gewerkschaften etwas Sinnvolles, wie etwa den 5-Stunden-Tag, fordern und diese Forderung auch durchsetzen, könnten die Menschen ihre gewonnene Zeit ja zum lesen nutzen und über Sätze wie diese stolpern: „Heutzutage wird sehr viel Unsinn über die Würde der körperlichen Arbeit geschrieben. An der körperlichen Arbeit ist ganz und gar nichts notwendig Würdevolles (…). Es ist geistig und moralisch genommen schimpflich für den Menschen, irgendetwas zu tun, was ihm keine Freude macht.“
Oscar Wilde, von dem diese Zeilen stammen, hat sie schon am Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben und konnte sich sicher sein, damit noch auf mehr offene Ohren zu stoßen, als dies heute der Fall ist.
Warum das so ist, wollen wir versuchen ein Stück weit zu ergründen.
Lange vor unserer Zeit bedeutete Arbeit noch Mühsal, Strapaze und Not. Wo bekam die Arbeit dann auf einmal ihr würdevolles Moment?
Sprachgeschichtlich läßt sich der Begriffswandel in der Zeit der Reformation verorten, fielen doch die allerersten Anfänge der bürgerliche Gesellschaft in diese Zeit und haben doch Luther und Calvin die Arbeit als etwas Gottgefälliges und damit Schönes gepredigt. Als mit der Aufklärung die Furcht vor der Hölle schwand, mussten dann die Menschen auch an die Werkbank gezwungen werden, denn viele wollten nicht so recht glauben, dass 14 Stunden in einer dunklen, stickigen Fabrik etwas Schönes seien.
Karl Marx fand die richtigen Worte dafür, als er schon 1845 schrieb, die ‚Arbeit‘ sei ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums werde also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der ‚Arbeit‘ gefasst wird. Die, die auf ihn folgten und sich auf ihn beriefen, seien es die Sozialdemokratie oder Begründer des sog. Marxismus-Leninismus, vergaßen diese Worte schnell und predigten den Menschen wieder die Arbeit.
Mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft wurde die Arbeit zum Dienst an Volk und Vaterland. Der bis dahin von Zeit zu Zeit noch ausgetragene Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit sollte in eben jener Volksgemeinschaft aufgehoben sein. Die Deutschen waren sich sicher, den eigentlichen Widerspruch nun zwischen deutsch und jüdisch entdeckt zu haben und organisierten den industriellen Massenmord an allen Juden, derer sie habhaft werden konnten.
Dass die alliierten Bomben zwar die Dächer über den Köpfen der Mörder, aber nicht die Ideologie der Volksgemeinschaft, ganz zu schweigen vom Antisemitsmus, zerstörten, zeigt sich heute unter anderem in der Funktion der Gewerkschaften.
Denn der Korporatismus, das Aushandeln des Widerspruches zwischen Kapital und Arbeit am runden Tisch, zum Wohle des Standortes, ist eine Facette des Fortwesens des Nationalsozialismus in der postnazistischen Gesellschaft.
Heute, nach einer langen Geschichte des Zwangs zur Arbeit, beschweren sich die Menschen darüber, dass ihnen durch die fortschreitende Automatisierung der Produktion die Arbeit ausgehe und nicht darüber, dass dies zu keiner Befreiung führt.
Der Zwang zur Arbeit, der vor nicht allzu langer Zeit noch sehr handfest durchgesetzt wurde, ist inzwischen weitestgehend internalisiert. So begreifen die meisten den Verlust ihres Arbeitsplatzes als individuelles Versagen und nicht als Folge einer nicht am Glück aller orientierten Gesellschaftsordnung. Damit dies auch so bleibt kehren die längst in Vergessenheit geratenen Arbeitshäuser, in denen nicht Arbeitswilligen mittels Zwang die Liebe zur Arbeit beigebracht werden sollte, in Form von sogenannten „Maßnahmen“ durch die Arbeitsämter, unter Androhung des Verlustes der Almosen, wieder zurück. Deren Zweck erschöpft sich meist darin, dafür zu sorgen, dass die Arbeitslosen die Rahmenbedingungen eines Arbeitstages, wie viel zu frühes Aufstehen und das Nachgehen einer nicht-lustvollen Tätigkeit, nicht vergessen.
Auf der anderen Seite der Medaille äußert sich der verdrängte Wunsch, auch nur dem nachgehen zu können, was Freude bereitet, im Ressentiment gegen die abschätzig so genannte Unterschicht. Denn, dass Millionen von Menschen nicht mindestens 40 Stunden die Woche arbeiten müssen und stattdessen, wie es so schön heißt, auf der faulen Haut liegen, aber zumindest auf der nördlichen Erdhalbkugel trotzdem die Supermarktregale voll sind, lässt erahnen, dass bei einer vernünftigen, an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Gesellschaft, die alltägliche Plakerei nicht notwenig wäre.
In ihrem Hass gegen „die da oben“ und „Spekulanten“ finden sie dann allerdings alle wieder zusammen. Von ganz links bis nach ganz rechts wird das unterstellte oder wirkliche arbeitslose Einkommen als Grund allen Übels ausgemacht. Diese, ob eingestandene oder uneingestandene, Trennung zwischen Schaffendem und Raffendem ist nicht nur eine falsche, sondern auch gefährliche Antwort auf die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Denn zum einen ist es dann meist der Staat, der die Ungleichverteilung des Reichtums beheben soll – sei es als „Arbeiter- und Bauernstaat“, „Staat des ganzen Volkes“ oder als das sozialdemokratische „Wir“. Zum Anderen, weil die Aufteilung in Schaffendes und Raffendes eine bekannte antisemitische Argumentation ist, auch wenn sich gerade viele Linke da noch auf der sicheren Seite wähnen, nur weil sie nicht – wie Nazis – von Juden, sondern nur von „denen da oben“ sprechen. Um den Unterschied begrifflich zu fassen, sprechen nicht nur wir von strukturellem Antisemitsmus, der in seiner Argumentationsweise eine große Nähe zu antisemitischen Argumentationen aufweist, und einer genuin antisemitschen Argumentation.
Der Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Arbeitsfetisch wird nicht zuletzt in dem über dem Tor zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau angebrachten Spruch „Arbeit macht frei“ deutlich.
Wir haben in dieser Rede nur einzelne Punkte unserer Kritik angerissen, andere ganz ausgelassen. So gibt es eine riesige Gruppe von Menschen, die häufig einer doppelten Belastung ausgesetzt sind, nämlich Frauen. Zwar ist es in wohlhabenderen Kreisen nicht mehr unüblich, dass auch Männer zum Beispiel Vaterschaftsurlaub nehmen, gerade aber bei einem wachsenden industriellen Ersatzheer in Krisen sind es zuerst Frauen, die wieder in die unsichtbare Reproduktionsarbeit an Heim und Herd verschwinden. Mit ihnen gerät auch ein gewichtiger Teil der Ideologie der Arbeit, nämlich derjenige der Reproduktionssphäre, aus dem Visier einer Ökonomiekritik. Die spezifisch weibliche Aufopferungsbereitschaft für Ehe und Familie greift wie ein Zahnrad in die Arbeitsmoral für Betrieb und Standort. Zur Überwindung der falschen Gesellschaft muss auch ihr falsches Bewusstsein als Ganzes begriffen werden.
Denn erst wenn die Ideologie – hier die Naturalisierung von Arbeit – bröckelt, wird der Blick klar für eine Kritik der politischen Ökonomie.
„Wir fordern eine neue Ordnung der Arbeit“, schreibt der DGB im diesjährigen Aufruf, denn Arbeit gilt ihm als etwas Ewiges, obwohl Arbeit nur als Geschichtliches zu begreifen ist. Der Auffassung von der Arbeit als etwas Ewigem halten wir entgegen, dass Befreiung nur zu denken ist als gesellschaftlich organisierte schöpferische Tätigkeit der Individuen.
Die notwenige Drecksarbeit bekommen wir schon auf ein Mindestmaß reduziert.
In diesem Sinne: für den Kommunismus; nie wieder Deutschland.